Ist ein Glas Rotwein vor dem Schlafengehen gesund?

Dr. Matthias Riedl ist Ernährungsmediziner und ärztlicher Leiter des Medicum Hamburg. Im NDR klärt er als einer von drei »Ernährungs Docs« über Essen als Medizin auf und hat mehrere Bücher über Diabetes und antientzündliche Ernährung geschrieben:
»Weintrauben enthalten den antioxidativen sekundären Pflanzenstoff Resveratrol, der sich positiv auf die Herz-Kreislauf-Gesundheit auswirkt und den Wert des LDL-Cholesterins, also des ‘schlechten’ Cholesterins, senkt. Auch im Rotwein befinden sich geringe Mengen dieses Stoffs. Automatisch gesund ist Rotwein deshalb aber nicht: Die positiven Eigenschaften des Resveratrol können die negativen Auswirkungen des Alkohols schlichtweg nicht ausgleichen. So wirkt sich Alkohol bekanntermaßen negativ auf unser Herz sowie unsere Darmflora aus und kann Krebserkrankungen begünstigen. Rotwein sowie auch andere alkoholische Getränke können aufgrund der sedierenden Wirkung des Alkohols zwar beim Einschlafen helfen, gleichzeitig führt der Konsum jedoch zu einer kürzeren Tiefschlafphase und sorgt dafür, dass wir schneller wieder aufwachen.
Warum sich der Mythos des gesunden Glas Rotwein am Abend so wacker halten konnte, hängt zum einen damit zusammen, dass Weintrinker, anders als Bier- oder Schnapstrinker, in der Regel geringere Mengen Alkohol konsumieren und sich häufig gesünder ernähren. Sie gelten als ‘Gourmets’ oder ‘Genießer’. Menschen, die sich gesund ernähren, können die negativen Auswirkungen von Alkohol auf den Körper eher ausgleichen als Menschen, die hauptsächlich ballaststoffarme und verarbeitete Lebensmittel essen. Zum anderen galt Rotwein aufgrund des sogenannten ‘französischen Paradox’ auch in der Forschung lange als gesund. Bezeichnet wird damit die geringere Anzahl von Herzerkrankungen in Frankreich gegenüber anderen Ländern trotz einer vergleichsweise ungesunden Lebensweise. Einige Forscher sahen dafür besonders in den 80er- und 90er-Jahren den hohen Rotwein-Konsum der Franzosen als Begründung. Wie unabhängig die Interpretationen zu den Studien sind und was der Grund für das französische Paradox ist, konnte bis heute nicht abschließend aufgeklärt werden. Fakt aber ist, dass in Frankreich mittlerweile nur etwa halb so viel Alkohol getrunken wird wie in Deutschland. Im europäischen Vergleich gilt Deutschland noch immer als Hochkonsumland.
Auf das Glas Rotwein am Abend muss man dennoch nicht verzichten. Jedoch kann es nicht schaden, seinen Konsum zu hinterfragen und Alkohol bewusst zu trinken. Um den Schlaf möglichst nicht negativ zu beeinflussen, ist es empfehlenswert, den letzten Schluck Rotwein mindestens vier Stunden vor dem Schlafengehen zu trinken. Wer seiner Herz-Kreislauf-Gesundheit wirklich etwas Gutes tun möchte, kann anstelle des Rotweins grünen oder schwarzen Tee, aber auch Kaffee trinken – natürlich ohne Zucker.«
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