Desinfektion | Forscher wollen Keime mit UV-C verringern
Das vermeintliche Klassenzimmer in Leipzig-Heiterblick sieht einem echten erstaunlich ähnlich – und doch ist hier so einiges anders: Statt echten Oberschülern sitzen 30 mit Luft gefüllte Puppen auf den Stühlen, sie tragen T-Shirts und darunter elektrische Heizmatten. So sollen sie der Körpertemperatur eines echten Menschen möglichst nahekommen.
Von der Decke des Raumes hängen an mehreren Stellen Temperaturmesser und schmale Röhren aus Metall, durch die Luft aus dem Raum abgesaugt und gemessen werden kann. Und dann stehen etwa in den Ecken Geräte, die aussehen wie ein Teleskop und die Luft ansaugen und mit UV-C-Strahlung behandeln können.
Bei dem vermeintlichen Klassenzimmer handelt es sich um ein neues Reallabor auf dem Gelände des Lichtspezialisten NEL. Für den Bau des knapp 200 Kubikmeter großen Labors haben sich die großen Leipziger Forschungsinstitutionen – die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK)Leipzig, die Universität Leipzig, das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung und das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung – mit der Wirtschaft zusammengetan. Gefördert wird das Ganze mit mehr als 2,5 Millionen Euro vom Bundesforschungsministerium.
Das Forschungsprojekt BeCoLe untersucht, ob und wie sich mithilfe von UV-C-Strahlung die Belastung von Krankheitserregern in öffentlichen Räumen verringern lässt. Der einfachste und effizienteste Schutz ist immer noch das Lüften. Doch nicht in allen öffentlichen Räumen – etwa im Kino oder Theater – lassen sich Fenster öffnen. Und im Winter ist es für längeres Lüften oft zu kalt.
Eine Alternative sind dann mechanische Filtersysteme, doch diese sind häufig zu laut. Die Forscher in Leipzig wollen nun herausfinden, wie mit Entkeimungssystemen, die auf UV-C basieren, Räume von Viren und Bakterien befreit werden können. UV-C-Strahlung ist ein Bereich der ultravioletten Strahlung mit einer Wellenlänge zwischen 100 und 280 Nanometern. Die Strahlung kann Bakterien und Viren abtöten – sie kann jedoch auch potenziell gesundheitsschädlich sein – etwa für Augen und Haut.
Bisher werde UV-C-Strahlung etwa in der Lebensmittelindustrie eingesetzt, so in Schlachtereien, erklärt Rüdiger Hennig vom NEL. Auch beim Entkeimen von Trinkwasser komme es zum Einsatz. In Leipzig wird nun in dem Reallabor geprüft, wie Keime sich im Raum verteilen und inwiefern mit UV-C-Geräten die Keimbelastung reduziert werden kann.
Gleich neben dem vermeintlichen Klassenzimmer ist beim Lichthersteller NEL ein kleiner Raum, den die Forscher scherzhaft die Giftküche nennen. Hier steht der selbst entwickelte Zerstäuber, mit dessen Hilfe Partikel aerosoliert in den Raum eingebracht werden können. Dazu nehmen die Forscher keine echten Viren, sondern ungefährliche Ersatzviren. So können sie dann verschiedene Situationen simulieren.
Das kann etwa die Situation sein, dass der Lehrer, der vorne im Klassenzimmer steht, Corona oder Influenza hat und die Aerosole von dort kommen. Wie verteilen sich die Teilchen nun im Raum? Was kommt bei der Schülerin in der letzten Reihe an, was bei jener in der ersten? Mithilfe des Reallabors können die Forscher das nun verlässlich messen und erfassen.
In Leipzig prüfen die Forscher die Entkeimung des Raumes derzeit mithilfe von drei UV-C-basierten Systemen. Das eine sieht aus wie ein Oberlicht. Es gibt die ultraviolette Strahlung gegen die Decke ab – die Idee ist, dass warme Luft nach oben steigt, dort die Keime durch das Licht abgetötet werden und dann die keimfreie Luft wieder hinuntersinkt.
Ein anderes System steht in den Ecken des Klassenzimmers. Es sieht aus wie ein Teleskop, saugt Luft an und behandelt diese dann mit UV-C-Strahlung. In der Industrie gibt es diese Modelle bereits, und sie sind marktreif. Wenn es funktioniert, könnten sie künftig eine Alternative beziehungsweise Ergänzung zum Infektionsschutz in öffentlichen Räumen sein, etwa bei einer erneuten Pandemie. Aber angesichts vieler offener Fragen: Am Ende ist nichts so günstig wie einfach zu lüften. dpa/nd
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