SBK-Chefin Demmler zur Pflegeversicherung: Ich hoffe auf schnelle Soforthilfe

Frau Dr. Demmler, steigende Bedarfe bei sinkenden Einnahmen: Steht die soziale Pflegeversicherung am Scheideweg?
Definitiv. Wir brauchen allerdings nicht nur dringend Lösungen für eine bezahlbare und bedarfsgerechte Pflegeversicherung, sondern sollten bereits viel früher ansetzen. Warum spielt beispielsweise Prävention keine größere Rolle, auch für Menschen ohne Pflegegrad?
Pflegebedürftigkeit lässt sich oft schon relativ früh absehen, auch bevor tatsächlich ein Pflegegrad besteht. Wenn wir es schaffen, dass Menschen erst deutlich später pflegebedürftig werden, schont das die Pflegekassen und die Ressourcen der vorhandenen Pflegekräfte – bei gleichzeitig mehr Lebensqualität für die Betroffenen!
Die Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Katrin Staffler, moniert, die Pflegeversicherung sei an vielen Stellen nicht mehr zeitgemäß, zu kompliziert und oft auch ineffizient. Eine berechtigte Kritik?
Frau Staffler hat Recht. Einerseits macht die strikte Abgrenzung zwischen Kranken- und Pflegeversicherung in einer immer stärker alternden Gesellschaft wenig Sinn. Die beiden Versicherungen müssen stärker verzahnt arbeiten können, da die Grenzen immer fließender werden.
Wir brauchen außerdem ein neues Leistungs- und Vertragsrecht für die soziale Pflegeversicherung – ohne eine starre Trennung zwischen ambulanter und stationärer Pflege. Das entspricht oft einfach nicht dem Alltag von Pflegebedürftigen.
Pflegende Angehörige bilden zusammen den größten „Pflegedienst der Nation“. Es wird mehr Unterstützung gefordert. Was können Hausärztinnen und Hausärzte an der Stelle tun?
Ohne pflegende Angehörige stünde das Pflegesystem unter noch größerer Belastung. Trotzdem haben sie nicht die besten Voraussetzungen: Neben dem höheren Armutsrisiko kann die Pflege von Angehörigen auch zu einer erheblichen Gesundheitsbelastung werden.
Deshalb müssen wir Auszeiten über Kurzzeit- und Verhinderungspflege erleichtern und in die Prävention für pflegende Angehörige investieren. Hierbei können Hausärztinnen und Hausärzte pflegende Angehörige in den Fokus nehmen.
Was erwarten Sie von der neuen Gesundheitsministerin Nina Warken in Sachen Pflegeversicherung?
Ich hoffe zunächst auf schnelle Soforthilfe, indem die immer noch ausstehenden Rückzahlungen aus der Corona-Pandemie von über fünf Milliarden Euro überwiesen werden. Dann geht es um echte Veränderungen statt Flickschusterei. Die Pflegeversicherung wie auch das Gesundheitssystem allgemein brauchen eine klare Vision und konkrete Reformen. Wir dürfen keine weitere Wahlperiode ungenutzt verstreichen lassen.
Frau Dr. Demmler, wir bedanken uns für das Gespräch!
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