Hanns Dieter Hüsch: der Philosoph der Heiterkeit


«Du kommst auch drin vor. Gedankengänge eines fahrenden Poeten» – so lautet der Titel der 1990 erschienenen Autobiografie von Hanns Dieter Hüsch. Der Kabarettist erzählt darin zwar vom eigenen Leben, doch im Spiegel seiner Erinnerungen kann man sich wiedererkennen: Die Eigenheiten und Macken, die er bei sich treffsicher diagnostizierte, weisen über ihn selbst hinaus. «Die Leute sagen immer: Der muss bei uns im Schrank gesessen haben!», juxte Hüsch. Das Komische und Tragikomische des Alltags aufzuspüren, ohne die Menschen blosszustellen, darauf verstand sich niemand besser als er.
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Das Rüstzeug für diese Fähigkeit erwarb sich Hanns Dieter Hüsch bereits früh. Die ersten Jahre in Moers, wo er am 6. Mai 1925 geboren wurde, formten das Weltbild und Programm des Kabarettisten. Dass Hüsch seine Kindheit im beschaulichen Städtchen – «25 000 Einwohner, 32 Schwäne» – trotz Nazi-Diktatur und Kriegsnot als Paradies empfunden hat, mag erstaunen. Umso mehr noch, als er mit einer Behinderung zur Welt gekommen war, die weniger zähe Naturen aus der Bahn geworfen hätte: Ein «Klumpfuss» erschwerte dem Kind das Herumtollen mit Freunden.
Glück auf der Bühne«Ich war ein Sorgenkind», hat Hanns Dieter Hüsch in seinen Erinnerungen geschrieben. Um mit unwiderstehlicher Dialektik fortzufahren: «Und so blieb mir eigentlich gar nichts anderes übrig: Ich musste ein Glückskind werden!» Dieses Glück fand und empfand er vor allem auf der Bühne.
Mehr als ein halbes Jahrhundert tourte Hüsch durch die Lande. Alles begann, als er im Spätsommer 1945 gemeinsam mit dem Regisseur Theo van Alst das Studio 45 gründete. Eine «lockere Vereinigung aller schwarzen Schafe von Moers», die an Theater, Literatur und Musik interessiert waren. Im selben Jahr schrieb er sich in Giessen für ein Medizinstudium ein. Die Fehlentscheidung korrigierte er prompt, indem er ein Semester später in Mainz mit dem Studium der Theaterwissenschaft weitermachte. Opernregisseur wollte er werden.
Dass das aufmüpfige Kammerformat des Kabaretts eher seinem Naturell entsprach als das Pathos der Oper, erkannte Hüsch spätestens im Frühjahr 1947 bei einem Besuch des Düsseldorfer Kabarett-Ensembles Kom(m)ödchen. Das sorgte für die Initialzündung für seinen Wechsel ins komische Fach. Eine Entscheidung mit durchschlagendem Erfolg: Über siebzig Kabarettprogramme hat die «Rampensau», wie er sich selbst bezeichnete, bis 2001 präsentiert. Dann bewirkte ein Schlaganfall, von dem sich Hüsch bis zu seinem Tod im Dezember 2005 nicht mehr erholte, dass der Vorhang abrupt fiel.
Der Witz in den DingenKleinkunst betrieb der Rastlose, der lange in Mainz und später in Köln daheim war, im grossen Stil: als Liedermacher und Schauspieler, Clown und Prediger, Poet und Philosoph, als Sprachrohr der kleinen Leute, als Schriftsteller, Rundfunkmoderator und als Synchronsprecher.
Schopenhauers pessimistischer Sicht des Daseins, formuliert in «Die Welt als Wille und Vorstellung», setzte Hüsch eine Philosophie der Heiterkeit entgegen: Bei ihm besteht sie zum einen aus den Vorstellungen, in denen die niederrheinisch grundierte Erscheinungswelt Gestalt annimmt, zum anderen aus dem Witz, der das verborgene Wesen der Dinge enthüllt.
Hüsch machte während seiner Karriere auch in der Schweiz Station. Von 1973 bis 1979 lebte er mit der Berner Schauspielerin Silvia Jost zusammen. Gemeinsam entwickelten sie ein literarisches Kabarettprogramm («Faux Pas de Deux»). Doch später zog es den deutschen Komiker nach Mainz zurück, wo seine erste Ehefrau, Marianne Lüttgenau, und die einzige Tochter Anna in erstaunlicher Langmut jahrelang auf den verlorenen Mann und Vater gewartet hatten.
Hüschs Kompass blieb stets auf Moers ausgerichtet, den Schauplatz seiner niederrheinischen Komödie, in der so viele Figuren auftauchten, dass man leicht den Überblick verlor. Wer die weitverzweigten Verwandtschaftsverhältnisse aufdröseln will, kommt «vom Höckchen aufs Stöckchen», wie der Rheinländer sagt. Mit hintergründigem Humor hat er seiner Sippschaft ein Denkmal gesetzt, ohne die Schwächen dieses Menschenschlags auszublenden: «Der Niederrheiner ist überhaupt zu allem unfähig. Er weiss nix, kann aber alles erklären. Umgekehrt: Wenn man ihm etwas erklärt, versteht er nichts, sagt aber dauernd: Is doch logisch.» Sein Spott galt auch den niederrheinischen Hypochondern: «Wenn man sich am Niederrhein vorstellt, sagt man am besten gleich die Krankheit dazu.» Früher oder später komme man sowieso auf die Leiden zu sprechen.
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Nicht verwunderlich von daher, dass der Ehrenbürger in Moers anfänglich eher als Nestbeschmutzer wahrgenommen wurde. Ein Missverständnis. Waren es doch gerade die kleinen Unzulänglichkeiten, die Hüsch nicht nur liebte, er identifizierte sich selbst damit. Gegen Heimattümelei aber war er schon deshalb gefeit, weil er die Region zwischen Emmerich und Düsseldorf als exemplarischen Ort für Menschliches, Allzumenschliches empfand: «Überall ist Niederrhein», wusste Hüsch.
Schmunzeln statt SchenkelklopfenErst recht dort, wo er auftrat. Ohne Punkt und Komma manövrierte der Sprachartist von Hü nach Hott. Zum Teil in rasanter Geschwindigkeit erzählte er seine Schnurren, stets angereichert mit Füllwörtern wie «nicht wahr?», «ist doch so», «oder so ähnlich». Hüschs Pointen, Kalauer und skurrile Anekdoten animieren zum Schmunzeln, manchmal auch zum lauten Lachen, nie aber zum Grölen und Schenkelklopfen. Insofern verkörperte er ein Gegenbild zu den Comedians, die heute grosse Hallen füllen.
Auf der Bühne genügte ihm ohnehin eine spartanische Ausstattung. Unerlässlich war eigentlich nur seine kleine elektronische Orgel, die Philicorda. Das «Örgelchen» diente ihm auch als Manuskript-Ablage. Denn weil er fürs Auswendiglernen zu faul und für den Teleprompter zu altmodisch war, las er vom Blatt. Gelangweilt hat sich dennoch keiner im Publikum. Der Minimalismus – bei Hanns Dieter Hüsch wurde er zum Ereignis.
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