Interview US-Regisseur Steven Soderbergh zu "Black Bag"

Steven Soderbergh, schon vor Jahren haben Sie hier in Berlin gesagt, dass Sie den Regiejob an den Nagel hängen wollen. Nun stellen Sie Ihren neuen Thriller „Black Bag“ vor. Wieso drehen Sie immer noch Filme?
Oh, das habe ich damals etwas leichtfertig bei meinem Psychothriller „Side Effects“ gesagt. Dann aber wurde mir schnell klar: Ich war frustriert über die Kinobranche, keinesfalls aber über die Arbeit als Regisseur.
Woran haben Sie das gemerkt?
Begriffen habe ich es, als ich die Krankenhausserie „The Knick“ inszenierte - und danach den unabhängig finanzierten Kinofilm „Logan Lucky“: Beide Male hatte ich die Kontrolle über alle Entscheidungen und habe kapiert, dass ich die Arbeit immer noch liebe. Ich verspreche Ihnen: Wenn ich das nächste Mal in Rente gehe, verschwinde ich einfach und sage kein Wort.
Was gefällt Ihnen am Regieführen?
Man hat mit Menschen zu tun, mit Kultur, mit viel Geld. Jede Minute passiert etwas Unerwartetes - ein hochkomplexes Spiel. Wenn es klappt, fühlt es sich an wie ein Dopaminschub. Allerdings: Das Kino war die primäre kulturelle Kraft des 20. Jahrhunderts, aber das wird es im 21. Jahrhundert kaum mehr sein.
Werden die Menschen aufhören, ins Kino zu gehen?
Das Kino wird nicht sterben, auch wenn die Zuschauerzahlen zurückgehen. Von den Erwachsenen, meinem Zielpublikum, bleiben viele zu Hause. Anders verhält es sich bei den Jüngeren, zumindest in den USA. Sie wissen auch erstaunlich viel über Filme. Das macht mir Hoffnung.
Was hat sich seit Ihrem Debüt- und Cannes-Siegerfilm „Sex, Lügen und Video“ 1989 verändert am Filmemachen?
Die Probleme sind immer noch dieselben, egal ob man einen kleinen Film wie diesen oder einen großen wie „Ocean’s Eleven“ dreht. Aus jedem Film lernt man etwas.
Was haben Sie aus „Black Bag“ gelernt?
Bei einem Testscreening stellte sich heraus, dass wir zu schnell zu viele Informationen platziert hatten. Wir mussten eine Extra-Szene einfügen, in der das Publikum die Spione erst einmal kennenlernt, bevor sich alle zum Dinner am Esstisch von Cate Blanchett und Michael Fassbender versammeln. Sonst hätten da für die Zuschauer Fremde gesessen. Gelernt habe ich: So ein Problem im Film muss man ganz früh lösen.
Was Sie schon sehr früh beherrscht haben, ist größtmögliche Effektivität beim Dreh. „Black Bag“ ist 93 Minuten kurz. Warum geizen Sie so sehr mit der Zeit?
Ehrlich gesagt finde ich, dass die meisten Filme zu lang sind. Ich will eine Geschichte auf ihre absolute Essenz reduzieren. In „Black Bag“ gab es ursprünglich einen weiteren Mord. Der hätte aber nur abgelenkt. Die ganze Passage habe ich herausgenommen.
Wie wird der Einsatz von Künstlicher Intelligenz das Kino verändern?
Jedenfalls ist KI nicht die Bedrohung, von der vor allem diejenigen sprechen, die dieses Werkzeug nicht nutzen. Am Ende braucht es immer Menschen, die das KI-Ergebnis verbessern.
Wofür benutzen Sie KI?
Für visuelle Effekte ist KI großartig. Man hat etwa die Möglichkeit, ein Bild an der Wand ruckzuck gegen ein anderes Motiv auszutauschen. Was ich nicht verstehe, ist, wenn jemand viel Mühe aufwendet, um mithilfe von KI etwas zu schaffen, das echt aussieht. In den meisten Fällen erzielt man ein besseres Ergebnis, wenn man es einfach filmt. Warum sollte ich ein Familiendrama mit KI nachstellen?
Weil es kostengünstiger ist?
Ja, aber die Zuschauer lassen sich nicht täuschen. Das Vakuum hinter den KI-Bildern verändert die Wahrnehmung. Ich kann mir kein Szenario vorstellen, bei dem man mit KI etwas so Lebendiges schafft wie den Beziehungsstreit in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“.
Steven Soderbergh ist so talentiert, dass ihm ein Name nicht reicht: Unter dem Pseudonym Peter Andrews firmiert er gelegentlich als Kameramann seiner eigenen Filme. Taucht im Abspann eine Mary Ann Bernard auf, steckt er ebenfalls dahinter. Der 1963 in Atlanta geborene Filmemacher hat stets seine Unabhängigkeit in der Kinomaschinerie verfolgt. Mit Erfolg: Mit „Sex, Lügen und Video“ heimste er 1989 in Cannes die Goldene Palme ein – als jüngster Preisträger überhaupt. Mit dem Drogenthriller „Traffic“ (2000) holte er sich den Oscar. Im selben Jahr ließ er Julia Roberts als Umweltaktivistin in „Erin Brockovich“ glänzen. Ein Jahr später folgte der stilprägende Gangsterfilm „Ocean’s Eleven“ (2001) um den Gentleman-Ganoven George Clooney. Soderbergh dreht im Eiltempo. Zu seiner Filmografie gehören das Kickboxerinnendrama „Haywire“ (2011), der Stripper-Film „Magic Mike“ (2012) und der Pharma-Thriller „Side Effects“ (2013). Im Fernsehfilm „Behind the Candelabra“ (2013) zeichnete er ein Porträt des Entertainers Liberace mit Michael Douglas in der Hauptrolle. Im Thriller „Kimi“ (2022) aktualisierte er Hitchcocks „Fenster zum Hof“, mit „Presence“ (2024) wechselte er ins Horrorfach. Ungewollt erreichte sein bereits 2011 entstandener Virus-Thriller „Contagion“ während der Corona-Pandemie neue Dringlichkeit: Und nun legt er mit "Black Bag" (Kinostart 15. Mai) einen Spionagethriller mit Cate Blanchett und Michael Fassbender in den Hauptrollen vor.
KI dürfte auch Schwierigkeiten haben, Pierce Brosnan zu ersetzen. Warum haben Sie den Ex-Bond angeheuert?
Immer muss sich James Bond von seinem Chef oder seiner Chefin sagen lassen, was er zu tun hat. Hier darf Brosnan mal als Boss befehlen: Geh und töte jemanden! Meine einzige Anweisung an Pierce war, dass er sich nie hinsetzen darf. Solange er dynamisch ist, ist er unangreifbar. Und als er schließlich sitzend erwischt wird im japanischen Restaurant, wird ihm sofort sein Lunch mit dem noch lebenden Fisch ruiniert. Das war übrigens kein echter Fisch.
Wie wird es James Bond künftig beim Streamingdienst Amazon ergehen?
Tja, wie entwickelt man diese Figur weiter, ohne all das zu verlieren, was sie attraktiv gemacht hat? Der erste schwierige Schritt ist die Entscheidung darüber, wer Bond spielen soll. Ich beneide Amazon nicht um diese Aufgabe. Und da sind die prägenden „Jason Bourne“- und die „Mission Impossible“-Filme. So viel muss bei der Schaffung einer neuen Bond-Version einkalkuliert werden.
Wird die Marke Bond zum Ersatzteillager, aus der Sequels, Prequels, Serien, Animationen herausgeschraubt werden, siehe „Star Wars“?
Die Rechteinhaber Barbara Broccoli und Michael Wilson lehnten es ab, die Welt von James Bond zu erweitern. Amazon hat für all diese Optionen bezahlt. Was also wird Amazon tun? Werden sie die Verbindung zu Bond zerstören? Ich glaube nicht. Es gibt möglicherweise Universen, die parallel existieren können.
Sind Sie schon gefragt worden, ob Sie den nächsten Bond drehen wollen?
Nein.
Und wenn Sie gefragt würden?
Ich wurde schon zweimal angesprochen - nach den Krimikomödien „Out of Sight“ und „Ocean’s 12“. Beide Male habe ich zurückgefragt, ob ich die kreative Kontrolle über die Drehbücher haben würde. Beide Male hieß es nein. Das war’s dann.
Ist Ihr Film „Black Bag“ auch ein Eheratgeber nach dem Motto: Vertraue Deinem Partner oder Deiner Partnerin, auch wenn Du weißt, dass Du belogen wirst?
Man sollte unbedingt Vertrauen in eine Beziehung haben. Ebenso notwendig ist es aber, etwas für sich zu behalten. Sonst verschwindet man. Es gibt Dinge im Leben meiner Frau, die ich nicht kenne. Und das respektiere ich. Sagen wir so: Ich würde niemals versuchen, an ihren Laptop heranzukommen. Sie wird mir schon sagen, wenn es etwas gibt, das wichtig für mich ist.

"Man sollte unbedingt Vertrauen in einer Beziehung haben": Cate Blanchett als Kathryn und Michael Fassbender als George Woodhouse in "Black Bag".
Quelle: Claudette Barius/Focus Features
Hat Ihr Drehbuchautor David Koepp tatsächlich über das Liebesleben von Spionen recherchiert?
Als David am ersten „Mission Impossible“-Film schrieb, sprach er mit einer Geheimdienstagentin, die darüber klagte, dass es unmöglich sei, als Spionin eine Beziehung zu führen. Dauernd müsse sie lügen. Die Geheimdienste sind meines Wissens die einzige Branche, in der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ermutigt werden, sich untereinander zu daten.
Klingt nach eingeschränkter Partnerauswahl.
Das Spionagegeschäft wandelt sich generell. Ein Spion kann heute nicht mehr hinter verschiedenen Identitäten verschwinden. Da helfen auch keine vier Pässe. Die Biometrie ist zu weit fortgeschritten. Wir erleben die Rückkehr zu einer analogen Form des Spionierens.
Was heißt das in der Praxis?
Der Spion begibt sich an die Stätte, wo er Informationen bekommen will. Dort bleibt er für lange Zeit, baut eine vertrauenswürdige Persona auf und versucht dann erst, eine Quelle auf die eigene Seite zu ziehen. Das Seltsame ist bloß: Gleichzeitig sind die technischen Fähigkeiten grenzenlos, sich in jedes Telefon, jede Kamera und jeden Computer zu hacken. Niemand übermittelt noch sensible Daten per Telefon ...
... abgesehen von der US-Regierung, die dafür eine Chatgruppe gründet und dazu einen Journalisten einlädt.
Oh mein Gott, wow, das war eine Clownshow!
Haben Sie Ihren Film von der Agentenbranche absegnen lassen?
Ja, bei einer Testvorführung sagten Experten, dass es ein paar Dinge im Film gibt, die so nicht passieren würden.
Zum Beispiel?
Im Film zückt ein Spion im Dienstgebäude sein Handy. Es ist aber nicht erlaubt, im Büro ein Telefon mit sich zu tragen. Es könnte abgehört werden. Eine hochrangige Spionin würde sich auch nicht allein mit einer Kontaktperson treffen. Unser Testpublikum hat aber akzeptiert, dass wir da dramaturgischen Gründen folgen.
Warum haben Sie Ihre Geschichte aus den USA nach Großbritannien verlegt?
Ich wollte zur britischen Spionagefamilie gehören - in der Nachfolge von James Bond und Harry Palmer.
Ist es überhaupt noch möglich, Spionagefilme in den USA zu drehen, die bekannten Mustern folgen? Können US-Agenten für die Regierung Trump arbeiten und gleichzeitig zu den Guten gehören?
Ich bin mit einem Projekt beschäftigt, in dem ein FBI-Agent gegen einen Rechtsextremisten ermittelt. Plötzlich stehen wir vor der Frage, ob wir die Geschichte überarbeiten müssen. Die derzeitige Regierung würde gar nicht gegen so eine Person vorgehen. Und die Schwierigkeiten gehen noch weiter.
Wieso?
Die US-Nachrichtendienste haben die Verfolgung von allem eingestellt, was sich in Russland an der Cyber-Front tut. Darüber lässt sich kein Film mehr drehen, wenn er in den heutigen USA spielen soll. Es sei denn, man tut so, als ob Trump nicht Präsident ist und der Film reine Fantasie ist. Als Zuschauer würde mir das seltsam vorkommen.
Da sind Sie ja in weiser Voraussicht nach London geflüchtet.
Tja, meine Agenten kämpfen noch fürs Gute.
Wie wohl fühlen Sie sich noch in den USA?
Wissen Sie, in England habe ich Schriftstellerfreunde, bekannte Leute. Ihre Anwälte haben ihnen geraten, nicht in die Vereinigten Staaten zu reisen. Diese Freunde haben nichts anderes getan, als ihre Meinung kundzutun. Aber sie müssten bei der Einreise eine Liste ihrer Social-Media-Konten angeben.
Was tun Ihre Freunde?
Sie haben beschlossen, das Risiko nicht einzugehen. Sie alle haben Familie, und sie kennen die Geschichten von Menschen, die inhaftiert wurden. Das könnte ihnen auch passieren.
Wann wächst der Widerstand gegen solche Praktiken?
Wir alle müssen uns überlegen: Wie sieht eine Opposition heute aus? Wenn Sie mit der aktuellen Politik nicht einverstanden sind, was tun Sie dann? Sie können Ihren Abgeordneten oder Ihren Senator anrufen. Das Problem ist, dass die Rechten einen 40-jährigen Plan hatten, die Gerichte zu übernehmen. Und das haben sie geschafft. Sie kontrollieren den Supreme Court. Nun geht es darum, ob der US-Präsident die Regierung von Grund auf umgestalten kann und ob das Oberste Gericht zu seinen Gunsten entscheidet. Das ist ziemlich beängstigend.
Werden Sie in den USA bleiben?
Ich muss jetzt erst einmal nach London, um meinen nächsten Film „The Christophers“ zu beenden. Mehr weiß ich nicht. Ich genieße die Arbeit in London. Das könnte ein Grund sein, auf dieser Seite der Welt zu bleiben. Hier laufen meine Filme oft besser als in den USA, auch „Black Bag“. In Europa bin ich bekannt. Ich hätte wirklich mehr Spaß daran, mich über die Wirklichkeit zu beklagen. Aber ich muss mich ihr wohl anpassen. Wir werden sehen.
rnd