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Dirigent Lahav Shani: Debatte um Kulturboykotte

Dirigent Lahav Shani: Debatte um Kulturboykotte

Die Organisatoren des Flandern Festival Gent äußerten sich offen über die Gründe für ihren Beschluss, ein geplantes Konzert der Münchner Philharmoniker abzusagen: Der israelische Dirigent Lahav Shani habe sich nicht ausreichend vom Vorgehen der israelischen Regierung distanziert.

Mit der Absage der Veranstaltung wollen die Organisatoren nach eigenen Angaben "die Ruhe unseres Festivals bewahren". Sie erklären, dass es ihre "tiefste Überzeugung ist, dass Musik eine Quelle der Verbindung und Versöhnung sein sollte".

Doch statt Gelassenheit hat dieser Schritt eine Welle der Empörung ausgelöst - insbesondere in Deutschland.

Ein "unsäglicher und zutiefst antisemitischer Vorgang"

Deutschlands Kulturstaatsminister Wolfram Weimer bezeichnete den Schritt als "gefährlichen Präzedenzfall": "Das ist blanker Antisemitismus und ein Angriff auf die Grundlagen unserer Kultur."

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, kritisierte die Entscheidung ebenfalls scharf: "Ich halte die Absage unter der genannten Begründung für einen ganz und gar unsäglichen und zutiefst antisemitischen Vorgang", sagte er der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

Die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, nannte die Absage eines der "krassesten Beispiele des aktuellen Judenhasses." Gegenüber der dpa sagte sie mit Bezug auf die anti-jüdischen Boykotte der NS-Zeit: "Wer in dieser Lage das historische Echo nicht hört, der stellt sich taub."

Unterstützung von internationalen Konzerthäusern

Der belgische Premierminister Bart De Wever besuchte am vergangenen Freitag (12.09.) demonstrativ Shanis Auftritt mit den Münchner Philharmonikern in Essen. Er nannte die Entscheidung der Festival-Organisatoren "unverantwortlich".

Andere europäische Konzerthäuser, die in derselben Woche wie das Flandern Festival die Münchner Philharmoniker und Lahav Shani zu Gast haben, erklärten, dass sie dem Beispiel von Gent nicht folgen werden.

Die Philharmonie Luxembourg, die am 17. September ein Konzert unter der Leitung von Shani veranstaltet, erklärte gegenüber der DW: "Wir halten an unserer Position fest, weiterhin mit Künstlern aus aller Welt zusammenzuarbeiten. Wir möchten uns nicht an einem Boykott von Personen aufgrund ihrer Nationalität beteiligen, da wir nicht glauben, dass alle Künstler die Politik ihrer Regierung unterstützen oder mit ihr verbunden sind."

Das Pariser Konzert von Shani mit den Münchner Philharmonikern im Théâtre des Champs-Élysées findet ebenfalls wie geplant am 16. September statt.

Wer ist Lahav Shani?

Lahav Shani wurde 1989 in Tel Aviv geboren und gilt als einer der vielversprechendsten jungen Stars der klassischen Musik. Er ist Dirigent, Pianist und Kontrabassist und trat 2019 die Nachfolge von Zubin Mehta als Direktor des Israel Philharmonic Orchestra an.

Ein Mann (Lahav Shani) dirigiert ein Orchester
Lahav Shani ist ein Star der Klassischen MusikBild: Sven Hoppe/dpa/picture alliance

Seit 2016 ist Shani auch Chefdirigent des Philharmonischen Orchester Rotterdam. Obwohl er bereits Konzerte mit den Münchner Philharmonikern dirigiert, wird er erst ab September 2026 offiziell Chefdirigent des deutschen Orchesters sein. Auch nach seinem Abschied in Rotterdam wird er weiterhin Direktor des Israel Philharmonic Orchestra bleiben.

Shani: Aufruf zum Frieden

Den größten Teil seiner Karriere war Shani vorsichtig mit politischen Statements. In einem Gastbeitrag für die "Süddeutsche Zeitung" aus dem Jahr 2024 erklärte er, dass er als Dirigent des Israel Philharmonic Orchestra - mit Musikern unterschiedlicher Herkunft und mit oft gegensätzlichen Ansichten - nichts sagen wolle, was irgendeine Seite denke.

Das änderte sich jedoch im März 2023, schrieb er in seinem Essay. Damals marschierten Hunderttausende an einer Konzerthalle in Tel Aviv, in der Shani auftreten sollte, vorbei. Sie demonstrierten gegen die geplanten Justizreformen der Regierung von Benjamin Netanjahu. An diesem Abend äußerte Shani auf der Bühne seine Besorgnis über die Zukunft der israelischen Demokratie.

Er schrieb auch über den Schock, als ihm klar wurde, dass sich Juden nach den Angriffen der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 selbst in Israel nicht mehr sicher fühlen konnten - eine Angst, die viele andere Juden auf der ganzen Welt teilen.

Doch er äußerte auch die Hoffnung, "dass auf beiden Seiten bald sehr mutige Menschen nach vorne kommen, Menschen, die in die weitere Zukunft denken und die schwierigen Schritte zum Frieden wagen."

Das Flandern Festival Gent räumte zwar ein, dass "Lahav Shani sich in der Vergangenheit mehrfach für Frieden und Versöhnung ausgesprochen hat", doch argumentierten die Organisatoren, dass er "angesichts seiner Rolle als Chefdirigent des Israel Philharmonic Orchestra" nicht weit genug gegangen sei.

PEN Berlin, die lokale Zweigstelle einer internationalen Schriftstellervereinigung, die sich für freie Meinungsäußerung einsetzt, ist ganz anderer Meinung. In einer Erklärung sagt PEN-Berlin-Sprecherin Thea Dorn: "Meinungsfreiheit ist nicht nur das Recht, sich frei und ohne Furcht vor Repressalien zu äußern; sie beinhaltet auch das Recht, sich nicht äußern zu müssen. Bekenntniszwang ist ein Merkmal autoritärer und erst recht totalitärer Regime.

Shani und Gergiev vergleichbar?

Die Debatte um Lahav Shani hat Vergleiche mit dem russischen Dirigenten Valery Gergiev ausgelöst. Er wurde im März 2022 von den Münchner Philharmonikern entlassen, nachdem er sich geweigert hatte, Russlands Invasion in der Ukraine zu verurteilen.

Der jüdische Pianist Igor Levit, ein weltweit bekannter Künstler, der für seine unverblümte Haltung gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus bekannt ist, wies diesen Vergleich in der deutschen Nachrichtensendung "Tagesthemen" zurück: "Valery Gergiev ist ein Künstler, der seit Jahren offen, aus Überzeugung, ein Unterstützer (...) der Machenschaften des russischen, imperialistischen Diktators ist. Diesen Mann zu vergleichen mit Lahav Shani - einem Dirigenten, der mit seinem deutschen Orchester nur in diese Situation geraten ist, weil er ein israelischer Jude ist - das ist in meinen Augen ein intellektueller Offenbarungseid."

Gergiev trat 2012 in einem Wahlwerbespot für Wladimir Putin auf und befürwortete die Annexion der Krim. Gergiev ist derzeit Direktor des Mariinski-Theaters und des Bolschoi-Theaters in Russland.

Zwei Männer (Valery Gergiev und Wladimir Putin) im Gespräch, der eine (Gergiev) weist mit dem linken Arm auf etwas außerhalb des Bildes
Der Dirigent Valery Gergiev im Gespräch mit Russlands Präsident Wladimir Putin 2018Bild: Mikhael Klimentyev/Planet Pix/Zuma/picture alliance

Dennoch hebt PEN Berlin einige Gemeinsamkeiten hervor: "Die Nähe zu ihren jeweiligen Regierungen mag bei Gergiev und Shani höchst unterschiedlich ausgeprägt sein, dennoch ähneln sich die Vorwürfe, die gegen beide erhoben wurden: Es geht nicht um Dinge, die sie gesagt, sondern um Dinge, die sie nicht gesagt haben", erklärt Dorn. "Cancel Culture und politischer Bekenntniszwang sind grundsätzlich abzulehnen und nicht nur dann, wenn es einem gerade ins weltanschauliche Konzept passt."

Menasse: "Kulturboykott ist immer falsch"

Der Streit um Shani ist Teil einer breiteren internationalen Debatte. Viele Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zögern, sich zum israelisch-palästinensischen Konflikt zu äußern - wegen seiner Komplexität und auch aus Angst, dass eine öffentliche Kritik an Israel berufliche Konsequenzen haben könnte.

In Deutschland hat die Zahl der Absagen an Künstler und Intellektuelle zugenommen, deren Haltung gegenüber der Politik Israels als zu kritisch angesehen wurde. Eine Praxis, die auch eine größere Anzahl jüdischer Stimmen betrifft.

Eine Frau (Eva Menasse) mit Sonnenbrille im Haar blickt in die Kamera
Eva Menasse war PEN-Berlin-Sprecherin bis November 2024Bild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Die österreichische Autorin Eva Menasse, selbst Kind jüdisch-katholischer Eltern, ist eine entschiedene Gegnerin solcher Boykotte. "Kulturboykott ist immer falsch", erklärte sie gegenüber der DW. "Wird ein ausgeladenes Orchester die fortschreitende, ungeheuerliche Zerstörung von Gaza verhindern? Wird es ein einziges Kind vor dem Verhungern retten?", fragt Menasse. "Nein, natürlich nicht. Das vermag eben nur die Politik. Gleichzeitig führt Kulturboykott wirklich immer zu noch mehr Polarisierung und Spaltung in der Gesellschaft."

Ein Mann mit graumeliertem Vollbart (Omri Boehm) blickt lächelnd in die Kamera
Wurde nach Israel-Kritik ebenfalls schon einmal ausgeladen: der Autor Omri BoehmBild: Christian Charisius/dpa/picture alliance

Menasse sieht darin eine Doppelmoral und fragt, warum diejenigen, die jetzt die Absage in Gent verurteilten, geschwiegen hätten, als jüdische Intellektuelle und Künstler, die Israel kritisch gegenüberstanden, anderswo ausgeladen wurden. Als Beispiele nennt sie den israelisch-deutschen Philosophen Omri Boehm, dessen Rede zum 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald nach Einwänden des israelischen Botschafters abgesagt wurde. Oder die Kontroverse um die Verleihung des Hannah-Arendt-Preises an Masha Gessen, nachdem die Journalistin in einem Artikel für das Magazin "New Yorker" Gaza mit Ghettos aus der Nazizeit verglichen hatte.

Die Kontroverse um die Absage des Konzerts in Gent hat einmal mehr gezeigt, wie schnell Kultur und Politik miteinander verquickt werden können - während einige Boykotte als legitime Form des Protests betrachten, warnen andere, dass sie oft Spaltungen vertiefen und wichtige Stimmen zum Schweigen bringen können. Diese komplexen Debatten über künstlerischen Ausdruck und politische Verantwortung zu führen, ist eine große Herausforderung für Kulturinstitutionen in einer tief gespaltenen Welt.

Adaption aus dem Englischen: Katharina Abel

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