Vince Gilligans Pluribus ist so großartig, wie man es sich schon gedacht hat. Und genauso surreal.

Im Jahr 2024 veröffentlichte eine Gruppe von Wissenschaftlern eine Studie, in der sie vor dem Ende allen Lebens auf der Erde warnten. Oder besser gesagt: nicht vor dem endgültigen Ende – sondern vor einer Art Neubeginn.
Alle Zellen haben eine Struktur, und diese Strukturen haben eine Ausrichtung. Da Pluribus , der neue Science-Fiction-Mystery-Film, in dem es genau darum geht, von Vince Gilligan stammt, ist Ihnen das Konzept vielleicht sogar bekannt. Denn wenn Sie Breaking Bad gesehen haben, den generationenübergreifenden Erfolgshit, der Gilligan berühmt gemacht hat, dann haben Sie den Chemielehrer und späteren Drogenboss Walter White genau das erklären hören.
Das nennt man Chiralität. Für alle D-Studenten unter uns Naturwissenschaftsstudenten bedeutet das im Grunde, dass die kleinsten Bausteine des Lebens eine bestimmte Ausrichtung haben und, wenn man sie umdreht, nicht mehr dieselben wären. Vereinfacht gesagt, kann man sie sich als links- oder rechtshändig vorstellen.
Theoretisch könnten aber auch spiegelbildliche Versionen dieser Bausteine existieren: „linkshändige“ Versionen von „rechtshändigen“. Würden diese spiegelbildlichen Bausteine dann eine spiegelbildliche Zelle bilden, entstünde etwas exakt Umgekehrtes und völlig Unnatürliches. Und würden sich diese spiegelbildlichen Zellen vereinen, könnten sie eine spiegelbildliche Version eines lebenden Organismus hervorbringen – was die besorgten Wissenschaftler oben als „Spiegelleben“ bezeichneten.
Das könnte sich für einige Langzeitbehandlungen als äußerst nützlich erweisen, da der Körper diese Organismen nicht abbauen könnte. Wie die Wissenschaftler in ihrer Studie erklärten, könnten diese Spiegelwesen aber auch ein ungestörtes Dasein fristen: Keine natürlichen Feinde und keine Immunreaktionen könnten ihre Population dezimieren.
Das ist im Prinzip die Ausgangslage von Pluribus – wenn auch nicht ganz. Zumindest lässt sich das über die geheimnisvolle Fortsetzung des „Breaking Bad“ -Universums von Gilligan sagen – die größtenteils in seinem geliebten Albuquerque, New Mexico, spielt und in der Rhea Seehorn aus seiner Serie „Better Call Saul“ erneut eine Hauptrolle übernimmt.
Diesmal spielt sie Carol Sturka, eine Fantasy-Romanautorin mit einer faden Buchreihe, die sie hasst, einer geheimen Beziehung zu ihrer Managerin Helen (Miriam Shor) und einem kaum in den Griff bekommenen Alkoholproblem.
Oh ja, und eine verzweifelte Verteidigung gegen den spiegelbildlichen, weltverändernden Wandel, der das Antlitz der Erde umgestaltet.

Sehen Sie, diese Serie handelt von Veränderung. Der neue Status quo – die verängstigte und verwirrte Carol erfährt dies bald von einem verblüffend fröhlichen Mann im Fernsehen – ist eine neue Lebensweise.
„Es ist ein freudiger Moment“, versichert ihr eine grinsende Frau (Karolina Wydra) und bietet ihr eine Wasserflasche an, die, wie sie hoch und heilig versichert, nicht vergiftet ist – eine heimtückisch freudige Veränderung, die (ohne zu viel zu verraten) schließlich auch Carol ereilen wird. Es sei denn, sie findet einen Weg, das angerichtete Unheil auf dem Planeten rückgängig zu machen.
Wenn diese Beschreibung etwas zurückhaltend klingt, dann liegt das daran, dass sie es auch ist. Gilligans Serie ist voller Geheimnisse, unerwarteter Wendungen und verblüffender Überraschungen – und bietet gleichzeitig eine erfrischende Modernisierung seiner altmodischen Ästhetik der frühen 2000er-Jahre.
Anstelle des körnigen, kitschigen Maximalismus seiner früheren Produktionen besticht Pluribus durch seine elegante, isolierende Atmosphäre.
Leuchtend gelbes Kunstleder, Funken, die von scharf abgebrochenen Telefonmasten sprühen, und weite, leere Rahmen prägen die neue Welt, die in den beiden Episoden, die am Freitag auf Apple TV Premiere feiern, präsentiert wird – und unterstreichen sowohl die allgegenwärtigen Themen, mit denen sich Gilligan auseinandersetzt, als auch eine aktualisierte Sensibilität (und höchstwahrscheinlich auch ein höheres Budget).
Manche dieser Themen sind, ehrlich gesagt, etwas ärgerlich vereinfachend. Als Carol um die halbe Welt reist, um ihren Widerstand in die Tat umzusetzen, spricht sie sogar die etwas klischeehaften Aspekte der Handlung an: „Ich kenne diesen Film. Wir alle kennen diesen Film“, ruft sie. „Und er endet nicht gut.“
Ausgetretener PfadEs stimmt, dass viele Aspekte dieser Geschichte seit den Anfängen der Science-Fiction – und ganz sicher auch seit den frühen Tagen Hollywoods – immer wieder neu aufgegriffen wurden. Leser von Ron Currie Jr.s wunderschönem Roman „Alles zählt!“ – über einen Mann, der im Mutterleib erfährt, dass ein Komet die Erde in 36 Jahren zerstören wird – werden die existenziellen Fragen nach dem Wert des Lebens zu schätzen wissen.
Und Fans von Robert Cormiers „Fade“ – über einen Jungen, der entdeckt, dass er die Fähigkeit zur Unsichtbarkeit besitzt – könnten die darin aufgeworfenen ethischen Dilemmata zu schätzen wissen, insbesondere die ethischen Verantwortlichkeiten, die wir unseren Mitmenschen schulden.
Und – um die Überraschung nicht vorwegzunehmen – Fans von so manchem klassischen Science-Fiction-Thriller werden sich bei Pluribus sofort wie zu Hause fühlen. Glaubt uns einfach.
Doch eine frühe Grundidee der Serie – die Frage, ob diese Veränderung womöglich etwas Gutes ist – wird auf eine pseudo-intellektuell komplexe Weise präsentiert, die vor allem künstlich wirkt. Es ist ein enttäuschend reduktionistischer Erzählkniff, der eher in die opernhaft-alberne Rede eines Bond-Bösewichts passt als in einen philosophischen Action-Krimi.

Es kommt sogar mit dem wohl klischeehaftesten Erzählmittel überhaupt daher: einer echten Anrufbeantworternachricht, die aus unerfindlichen Gründen im Jahr des Herrn 2025 verwendet wird.
Fairerweise muss man sagen, dass es sich hier um eine alternative Gegenwart handelt. Und diese etwas klischeehaften Elemente stören nicht den ansonsten meisterhaft inszenierten, absolut fesselnden Stil der Serie. Sie dienen vielmehr als Vorbereitung auf die zentralen Fragen, denen Gilligan mit Sicherheit nachgehen wird: Was ist Glück, wie wertvoll ist es und wie viel sollten wir bereit sein, dafür zu opfern?
Allein die Tatsache, dass Pluribus diese drei Fragen nicht nur schwer zu beantworten aufwirft, sondern auch die Grundlage für die wohl fesselndste Serie seit Severance bildet, ist Empfehlung genug. Kurz gesagt: Macht euch bereit, komplett in den Bann gezogen zu werden.
cbc.ca



